Portraits
ABO
Ein Meister des Verhandelns
Zusammen mit seinem Team markiert der Neuenburger Jean-Louis Hadorn seit 20 Jahren die Wanderwege des Val de Travers. Zugute kommt ihm bei dieser Tätigkeit insbesondere sein ausgeprägtes Verhandlungsgeschick.
24.05.2024 • Text und Bilder: Miroslaw Halaba
Jean-Louis Hadorn hat 20 Jahre Erfahrung als Signalisationsverantwortlicher.
Letzte Nebelschwaden hängen in der kühlen Morgenluft. Es ist Ende Mai, und nach einer Regenphase verspricht es endlich wieder, ein schöner Tag zu werden. Damit sind die Bedingungen ideal, um anstehende Arbeiten am von Neuchâtel Rando unterhaltenen, um die 1000 Kilometer messenden Neuenburger Wanderwegnetz zu erledigen.
Auf dem Programm steht heute die Installation eines Zaundurchgangs, genauer gesagt einer Klappschranke, auf einer der Routen, die von Les Verrières nach Norden in Richtung La Brévine führen. Dank dem Landrover der kantonalen Wanderweg-Fachorganisation – über dessen Anschaffung sich die Signalisationsverantwortlichen bei jedem ihrer Einsätze von Neuem freuen – konnten Schaufeln, Spitzhacken, Brechstangen und andere Bauwerkzeuge mühelos an den Ort des Geschehens transportiert werden. Vier pensionierte Männer, alles Ehrenamtliche, sind schon an der Arbeit. Ihre Hauptaufgabe: das Montieren zweier Pfosten – unterschiedlicher Höhe, um das Passieren mit einem Rucksack zu erleichtern –, an denen die Klappschranke befestigt werden soll.
Der Leiter des Teams, der gerade 80 Jahre alt gewordene Jean-Louis Hadorn, eilt geschäftig, aber ohne Hektik hin und her, nimmt hier mit Doppelmeter oder Wasserwaage eine Kontrolle vor und legt dort selbst Hand an. «Wie läufts?», «Denkst du, das Loch ist tief genug?» oder «Reichst du mir den Schraubenzieher?», fragt er seine Kollegen in freundlichem, aber bestimmten Ton, der seine Routine erkennen lässt. An Erfahrung fehlt es ihm denn auch wahrlich nicht: Seit nun schon 20 Jahren kümmert sich der ursprünglich aus dem Val de Ruz stammende Hadorn um die Wanderwege des Val de Travers, erst als Signalisationsverantwortlicher, später als stellvertretender Bezirksleiter und schliesslich als Bezirksleiter.
Besonders ans Herz gewachsen ist ihm in dieser Zeit der Bezirk 10, nicht zuletzt aufgrund dessen Lage westlich von Fleurier, wo er seit Jahrzehnten zu Hause ist: «Ich suchte eine Beschäftigung in der Nähe meines Wohnorts, bei der ich auf irgendeine Weise meine Kompetenzen aus meiner beruflichen Laufbahn im Bankwesen einbringen konnte.»
Plan als Eisbrecher
Seine alten beruflichen Kontakte sollten ihm, ebenso wie seine Herkunft aus einem bäuerlichen Umfeld, in der Folge immer wieder nützlich sein. Bei der Arbeit mit seinem Team scheut sich Hadorn nicht, überall mit anzupacken, auch wenn er nicht alles gleich gerne macht. Nicht so sehr mag er zum Beispiel das Mähen mit der Motorsense, die schwierig zu handhaben ist und einen repetitiven Bewegungsablauf erfordert. Was ihm andererseits sehr gefällt, ist das Verhandeln – eine Kunst, in der er sich bis 2001 mit seinen Bankkunden übte und die er seither im Umgang mit Grundeigentümern und Landwirten verfeinert.
Dass Gespräche mit diesen Parteien im Zusammenhang mit dem Neu- und dem Ausbau von Wanderwegen wichtiger geworden sind, liegt an der Einführung neuer Regeln für landwirtschaftliche Nutzungen. «Da seither das Vieh, wenn es nicht auf der Weide ist, oft vor den Höfen gehalten wird, ist es für Wandernde nicht mehr so einfach wie früher, nahe an den Betrieben vorbeizugehen, weshalb wir zahlreiche Routenänderungen vornehmen mussten», erklärt Hadorn. Um, wenn nötig, das Eis zu brechen, hat er bei diesen Gelegenheiten stets einen Lageplan dabei: «So konzentrieren sich meine Gesprächspartner auf die Fakten statt auf mich.» In der Regel seien die Leute für seine Anliegen offen: «Dass man mich überhaupt nicht empfangen wollte, ist nie vorgekommen, und oft enden die Verhandlungen mit einer gemeinsamen Mahlzeit.»
Hohe Ansprüche
Die beiden Pfosten für die Schranke sind sicher im Boden verankert, und auch sonst kommt das Team gut voran. Hadorn ist links und rechts zugange, überprüft die ausgeführten Arbeiten und gibt Anweisungen. Aus seiner Zeit als Leiter einer Bankfiliale ist er es gewohnt, zu organisieren, zu planen und Personal zu führen. Heute nutzt er all diese Fähigkeiten für Neuchâtel Rando und macht das, wenn man seinen Helfern glauben darf, ausgezeichnet.
«Jean-Louis ist der Beste», bestätigt Pierre-Alain Sueur, der seit vier Jahren mit ihm arbeitet. «Er geht äusserst sorgfältig und gewissenhaft vor, sowohl in der Vorbereitung als auch in der Umsetzung, ist ein sehr guter Ausbildner und kennt die halbe Welt.» Raymond Huguenin, schon 15 Jahre als Markierer mit dabei, stösst ins gleiche Horn: «Er ist eine echte Persönlichkeit. Besser organisiert und strukturiert als er kann man nicht sein.»
Er stelle hohe Ansprüche, fügen die beiden an, sehr hohe sogar, habe aber immer auch ein offenes Ohr für Anregungen. Von seinen Mitstreitern erwartet Hadorn, dass sie ständig dazulernen und er mit der Zeit nicht mehr jedes Mal alles wiederholen muss. Damit das Team gut funktioniert, ist der Zusammenhalt wichtig. Um diesen zu fördern, hat sein Leiter stets vorgesorgt: Zum Arbeitsbeginn gibts Kaffee und Gipfeli und in der Mittagspause Gegrilltes oder ein Fondue, so wie heute in einer Waldhütte unweit des Einsatzorts. Aufgrund seines Alters und gesundheitlicher Probleme hat sich Hadorn entschieden, etwas kürzer zu treten, will aber seine Stellvertreter, Philippe Niederhauser und Pierre-Alain Sueur, weiterhin als «Coach» unterstützen.
«Nicht unser Eigentum»
Hadorn achtet seine Mitmenschen und die Natur und hat auch sonst eine klare Philosophie und starke Werte. «Die Wanderwege, die wir benutzen und unterhalten, sind nicht unser Eigentum. Wir sind in der Natur nur zu Gast und haben uns entsprechend zu benehmen», hält er fest. Ebenso wichtig ist ihm, dass die Markierungen allen Wandernden dienen, ob aus der Region oder nicht und ob französisch- oder anderssprachig.
Auf einem Blatt Papier hat Hadorn eine Reihe von Leitsätzen notiert, so zum Beispiel «Wandern ist gut für den Körper und den Kopf», «Unterwegs lässt es sich bestens träumen, Bilanz ziehen, über die Arbeit nachdenken und Lösungen für seine Sorgen finden» oder «Mach aus jeder Erfahrung das Beste». Der Pensionär liebt das Wandern, ob im Wallis, im Berner Oberland oder natürlich im Neuenburger Jura: «Eine herrliche Gegend mit wunderschönen Routen – man denke nur an den Circuit des Fées!» Nach dem mittäglichen Fondue gehen die Arbeiten bis zum Abend weiter. Am Ende wird Jean-Louis Hadorn einen neuen Durchgang zur Benutzung freigeben können, so wie er das zuvor schon rund 100-mal getan hat.