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Wellness im wilden Grenztal

Im Valle Onsernone TI erwartet Wandernde eine Freilufttherme, das Rauschen des Isorno und ein Dorf von Aussteigern.
06.09.2024 • Text und Bilder: Jürg Steiner
Historisches Heilbad: die Bagni di Craveggia.
Grenzwandern in der Wildnis des Onsernonetals
Spruga — Comologno, Paese • TI

Grenzwandern in der Wildnis des Onsernonetals

Im Herbst wirkt das bewaldete Onsernonetal wie ein wogendes Meer aus Naturfarben, aus dem die hoch am Hang klebenden Siedlungen wie Inseln herausragen. Spruga, das hinterste Dorf im Tal, ist ein idealer Ausgangspunkt, um sanft in die wilde Natur einzutauchen. Eine asphaltierte, aber für den motorisierten Verkehr gesperrte Forststrasse führt auf der linken Talseite sanft abwärts Richtung italienischer Grenze. Man kann den 40-minütigen Fussmarsch als Einstiegsmeditation für das sehen, was später kommt. Das erste Ziel sind die Bagni di Craveggia – das historische Freiluftthermalbad im unbewohnten Grenzgebiet zwischen der Schweiz und Italien. Die teilweise zerfallene Anlage ist so wiederhergestellt, dass man sich ein Bad im knapp 30 Grad warmen Wasser gönnen kann. Die Therme ist frei zugänglich und die Benutzung kostenlos. Nur das Wasser muss man selbst einlassen. Ausser der Wanne, einer kleinen Kapelle und einer Picknickstelle gibt es hier keine Infrastruktur. Mindestens so lohnenswert wie ein Bad im Heilwasser ist die schroffe Bergwildnis im hintersten, italienischen Teil des Tals. Wo genau die Grenze verläuft, kann man nur ahnen. Man überquert sie unbemerkt. Eine zerfallende Kaserne der Carabinieri am Weg macht klar: Es war nicht immer so friedlich wie heute. Dass hier einst Schmugglerrouten durchführten, versteht sich von selbst. Der Rückweg auf der rechten Seite des Isorno enthält dann alle Zutaten einer Tessiner Wanderung: Es ist schmal, steil, einsam und urwaldmässig abenteuerlich, aber nicht gefährlich. Wichtig ist, das Wetter im Blick zu behalten. Nach Niederschlägen können die Seitenbäche, die man überqueren muss, unpassierbar sein. Nach dem Übergang zurück auf die linke Seite des Isorno führt ein Bergweg vorbei an Ruinen früherer Siedlungen, zuerst sanft, dann steil hoch nach Comologno. Hier endet die Wanderung mit einer herrlichen Aussicht über das ganze Tal.

Da möchte ich hin

Das Wasser ist 28 Grad warm, und es rinnt praktisch genau auf der Grenze zwischen der Schweiz und Italien aus dem Berg: Die Heilquellen der Bagni di Craveggia zuhinterst im Onsernonetal auf 1000 m ü. M. wurden schon im Mittelalter genutzt. Im 19. Jahrhundert entstand hier ein kleines Kurhotel, das sogar Kundschaft aus dem fernen Mailand anlockte. Nach einem Lawinenniedergang 1951 war es mit der kommerziellen Nutzung aber vorbei.

Spektakulär ist nicht nur das historische Bad, sondern auch die Geschichte der Grenze, die quer durch das wilde Tal des Isorno verläuft. Das unwegsame Gelände war ein lukratives Revier für Schmuggler, die unbeobachtet von Grenzwächtern Reis in die Schweiz sowie Zucker und Zigaretten nach Italien transportierten.

Im Oktober 1944 kam es bei den Bagni zu einem traumatischen kriegerischen Zwischenfall. Mehrere Hundert italienische Partisanen der zusammenbrechenden Ossola-Republik nutzten die Schmugglerpfade für die Flucht ins Onsernonetal. Die nachrückenden faschistischen deutsch-italienischen Truppen wurden von schweizerischen Grenzwächtern daran gehindert, die Flüchtenden bis über die Grenze zu verfolgen. Es kam zum Gefecht bei den Bagni di Craveggia, bei dem zwei Männer erschossen wurden.

Von diesen dramatischen Vorkommnissen spürt man beim Besuch der wilden Wellnessoase der Bagni di Craveggia nichts mehr. Die Grenze spielt an diesem abgelegenen Ort kaum noch eine Rolle. Für den meisten Grenzverkehr sorgt das Wolfsrudel, das seit 2021 zwischen dem Onsernonetal und Italien herumstreift.

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