Fernab Wandern
Über Wandertouren zu berichten, ist ein zweischneidiges Schwert. Zum einen teile ich sehr gerne schöne Erlebnisse mit einem grösseren Kreis. Zum andern steigt damit auch das Risiko, dass vielleicht eher wenig bekannte Wanderziele ihren Status als Geheimtipp verlieren. Und was Hans Magnus Enzensberger bereits Ende der fünfziger Jahre schrieb, gilt mindestens teilweise auch fürs Wandern: «Touristen zerstören, in dem sie finden, wonach sie suchen.» Das Unentdeckte. Unberührte. Einsame.
Auch deshalb habe ich es nicht an die grosse Glocke gehängt, dass ich während dem Lockdown wandern ging. Und wie! Es war DIE Gelegenheit, um den Bergfrühling in Gebieten zu geniessen, die sonst mit Bahnen erschlossen und dadurch komplett überlaufen sind.
So habe ich zum Beispiel der Kleinen Scheidegg gleich zweimal einen Besuch abgestattet. Wo sich normalerweise in der Hochsaison täglich bis zu 6000 meist asiatische Touristen mit Fotografieren die Finger wundtippen, habe ich bei beiden Besuchen zusammengezählt etwa zwei Dutzend Ausflügler angetroffen und die schon fast beängstigende Ruhe genossen. Oder auch das Niederhorn am tiefblauen Thunersee: Für einmal waren dort die Steinböcke in der Überzahl, und den Hasen hätte ich unter normalen Umständen sicher auch nicht gesehen.
Mit der Ruhe ist es jetzt aber erst mal vorbei. Die helvetische Top Sportdisziplin «Wandern» dürfte im Coronasommer noch exzessiver ausgeübt werden. Schon vor der Käferkrise gab über die Hälfte der Bevölkerung an, regelmässig zu wandern, und das an durchschnittlich 15 Tagen im Jahr. Wenn sich nun auch noch alle Covid19-Neowanderer dazugesellen… bhüet is. Hotspots und Stosszeiten kennt auch die Wanderszene. Alternativen sind also gefragt. Idee 1 zur Vermeidung von Dichtestress: Finger zufällig auf der Landkarte platzieren, dorthin fahren und einfach mal ohne Erwartungen loswandern. Denn genau das ist einer der Pluspunkte des 65 000 Kilometer langen Wanderwegnetzes: kaum ein Ort der Schweiz ist nicht ans Netz angeschlossen. Idee 2 zur Umgehung von Stosszeiten: wieso nicht einmal eine Regenwanderung unternehmen? Wolkenverhangenes Gebirge lebt von der mystischen Szenerie!
Wer wie ich Geheimtipps fürs Wandern sucht, findet deren 900 auf der Website der Schweizer Wanderwege. Und wer (wie ich) Fernweh verspürt, kann exotisch anmutende Reiseziele auch in der Schweiz erwandern. Grand Canyon (Creux du Van), norwegische Fjorde (Oeschinensee), Himalaya (Gornergrat) – alles da! Problem: zwar wunderschön, aber überlaufen. Deshalb abschliessend vier Insidertipps: Bolivianische Kargheit im Val Bever, Äthiopiens Berge beim Freiburger Breccaschlund, Sibirische Wälder im Entlebuch, Taiwanesische Schlucht im Val Bavona. Viel Spass beim Entdecken!
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