Kleiner Kraftprotz
Ich verstehe es ja… Ich kann nachvollziehen, dass viele Leute denken, ein Chihuahua sei nur nütze, in einer Tasche zu sitzen und hätte auf Wanderwegen nichts verloren, einschlägiger Berichterstattungen sei Dank. Ich muss jetzt hier einfach mal dagegen halten: so ein Chihuahua kann sehr zäh sein. Bei einer unserer letzten Wanderungen wurde mir das wieder einmal bewusst. Sie führte zur Leutschachhütte in Uri.
Beim Packen für den Wandertag im Urnerland überlegte ich noch, meinen Lieblingsrucksack mitzunehmen. Dieser hat aber einen Deckel und wenn ich den müden Alpinchihuahua nach ein paar Stunden Wandern tragen muss, schaut sein Köpfchen nur durch einen Spalt zwischen Deckel und Rucksack hervor, wie so ein Hot Dog.
Angesichts des Höhenprofils und der Wanderzeit von 5h 30min entschied ich mich aber dann, doch den hundefreundlicheren Rucksack zu packen, bei dem ich einfach den Reissverschluss von beiden Seiten schliessen kann. Der ist zwar für mich unbequemer, aber besser für den Vierbeiner.
Aber das wäre gar nicht nötig gewesen. Die über 1000 Höhenmeter Aufstieg meisterte er mit Leichtigkeit. Er schoss voraus und schaute uns langsame Zweibeiner nach jeder Kurve abschätzig an. Elegant sprang er auf Tritte, die eineinhalb Mal so hoch waren wie er selbst. Er trippelte über knorrige Wurzeln und tänzelte zwischen den Tannen durch. Bald schon holte er das Wandergrüppchen ein, welches vor uns gestartet war. Die älteren Wanderinnen und Wanderer staunten nicht schlecht, als sie den kleinen Chihuahua an ihren Fersen bemerkten. Ich schon etwas pustend ihm hinterher…
Bei der Sunniggrathütte gab es nebst spöttischen Kommentaren der anderen Hüttengäste (von «Haha, die Ameise hat Ausgang!» bis «Mussten Sie den hochtragen?») für ihn schon das Mittagessen, welches er wie ein Wolf verschlang. Nach seinem kleinen Nickerchen rechnete ich damit, dass ich ihn in den Rucksack stecken müsste. Aber weit gefehlt. Er war hochmotiviert, noch mehr zu wandern. Ich war ziemlich ausser Atem, als er auf dem Sunniggrat die Aussicht genoss und für Fotos posierte. Mein Chihuahua war komplett in seinem Element, fühlte sich – ich muss jetzt einfach – pudelwohl.
Auf dem nächsten Wegstück musste ich ihn an die Leine nehmen, hätte er sonst angefangen die Ziegen zu treiben (ja, wirklich!). Als mir eine solche zu nahe kann, verteidigte mich der Kleine, als ob Leib und Leben bedroht wären. Woher nahm er bloss diese Energie? Auf dem weiteren Weg hoch zur Leutschachhütte zog er mich regelrecht über die Flanke. So ging es weiter, bis auch er einmal verschnaufen musste. Ungefähr eine Viertelstunde brauchte er zum Regenerieren im Rucksack.
Dann wollte er aber wieder raus und weiter zur Hütte, wo ich ihm gerne einen Teil meines Spiegeleis gab und ihm seine Freude, sein «Gipfelhigh», ansah: den ganzen Tag draussen verbringen, die frische Luft atmen und das Bergpanorama geniessen und sich bewegen – vor allem, wenn einen der Ehrgeiz packt – tut nicht nur uns Menschen gut. Mein Hund strahlte (wenn man das von einem Hund so sagen kann) und ich verstand, was er mir damit mitteilen wollte: Hunde können genauso gerne wandern wie Menschen und kleine Hunde können genauso ausdauernd sein wie grosse.
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